The
Eurasian Politician
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The Eurasian Politician - Issue 2 (October 2000)

Die Europafalle

(The Case of Europe)

By Karl von Habsburg

Europa ist eine Wertegemeinschaft. Die pauschale Verurteilung eines Landes und ihrer Regierung schafft aber eine Stimmung gegen jene europäischen Werte, die man vorgibt zu verteidigen. Doppelmoral ist ein gefährlicher Sprengsatz, der nach hinten losgehen kann.

Von Karl Habsburg

Seit 30 Jahren gibt es in Österreich erstmals wieder einen Bundeskanzler, der nicht von der sozialistischen Partei gestellt wird. Was innenpolitisch aussieht wie ein ganz normaler Wechsel von einer mitte-links- zu einer mitte-rechts-Regierung empört Europa. Sanktionen gegen das kleine Land im Herzen des Kontinents werden beschlossen, bilaterale Kontakte werden eingefroren, Botschafter abberufen und gar gedroht, man werde den Druck solange durchhalten, bis diese Regierung zerschlagen sei.

Die Begründung für dieses Vorgehen: Europa ist eine Wertegemeinschaft und könne deshalb nicht dulden, daß eine europa- und fremdenfeindliche Partei in der Regierung ist. Jawohl! Europa ist eine Wertegemeinschaft. Die Europäische Union steht für Demokratie, Freiheit, freie Wirtschaft, Menschenrechte und vor allem für eine Weiterführung des so wichtigen, friedenstiftenden, europäischen Einigungswerkes. All das sind Prinzipien, zu denen sich auch Österreich und selbstverständlich auch die österreichische Bundesregierung bekennt.

Die vergangenen zehn Jahre herrschte nur wenige Kilometer von der Südgrenze Österreichs entfernt Krieg: Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo. Hunderttausende sind geflüchtet, der Großteil von ihnen kam nach Österreich und wurde dort aufgenommen. Genauso wie die Flüchtlinge 1956 aus Ungarn, die Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei 1968, die Flüchtlinge aus Polen, als Anfang der achtziger Jahre dort das Kriegsrecht verhängt wurde. Hunderte Millionen Schilling wurden im vergangenen Jahrzehnt von den Österreichern gespendet, um den Kriegsopfern in Südosteuropa beim Wiederaufbau ihrer Häuser und Dörfer zu helfen. Im August 1989 war es ein Picknick an der österreich-ungarischen Grenze (das berühmte Paneuropa-Picknick), welches das erste große Loch in den Eisernen Vorhang riß, und damit erst die heute aktuelle Erweiterung der Union möglich machte.

Und dieses Land ist nun der Paria in der Europäischen Union, weil die Zusammensetzung seiner Regierung angeblich gegen die europäischen Werte verstößt. Eine Situation, deren Brisanz von manchen wohl kaum verstanden wird. Eine Situation, in der sich die Sanktionen und die Drohung für weitere gegen die ursprüngliche Absicht wenden wird. Unter dem Vorwand, europäische Werte zu verteidigen, untergräbt man ganz massiv die Glaubwürdigkeit der europäischen Wertegemeinschaft.

Jörg Haider, Chef der FPÖ und personifiziertes Feindbild der EU-Partnerländer, hat seine Partei von fünf Prozent auf 27 Prozent gebracht. Sein Rezept war einfach: man nehme die Fehler der Regierung, formuliere sie provokant und verbreite sie emotionsgeladen in der Bevölkerung. Jörg Haider war ein Verfechter des EG-Betrittes und wandte sich dagegen, weil er bei der Volksabstimmung die vorhandenen Gegner des Beitrittes auf seine Seite bringen wollte. Er tätigte Aussprüche für die er sich später wieder entschuldigte, er sammelte Unzufriedene aus der ÖVP (Konservative, Katholiken, Wirtschaftsliberale, etc.) und hat bei der Wahl am 3. Oktober des Vorjahres deshalb so kräftig zugelegt, weil er tief in bisher sozialistische Arbeiterkreise eingedrungen ist. Er sammelt jede Stimme zusammen, die er kriegen kann. Das kann man als Populismus, Demagogismus oder Bauernfängerei, ganz sicher aber nicht als Faschismus oder Nationalsozialismus bezeichnen. Und gegen die Erweiterung der Europäischen Union um die Länder Mittel- und Osteuropas - ein Großteil davon ist mit Österreich historisch eng verbunden - haben genauso Gewerkschafter, sozialistische Landeshauptleute oder auch Bauernvertreter Stimmung gemacht.

Nun mag es durchaus sein, daß Parteifreunde der seit 30 Jahren regierenden Sozialisten für ihre Genossen einspringen und einen Protest aus den europäischen Partnerländern organisieren. Die Motivation dahinter ist aber eindeutig parteipolitisch. Es mag auch sein, daß christdemokratische und konservative Parteien die gerade einen Wahlkampf haben oder sich sonst in einer konfrontativen Situation befinden, aus parteitaktischen Motiven gegen den Koalitionspakt zwischen ÖVP und FPÖ sind.

Wer aber behauptet, aus Sorge um die Weiterentwicklung der Europäischen Union gegen diesen Pakt zu agieren, macht einen schweren strategischen Fehler: Er bestärkt erstens jene Unionsbürger (egal in welchem Mitgliedsland), die schon immer gegen die EU waren weil sie eine Aushöhlung der eigenen nationalen Kompetenz fürchteten und sich nun bestätigt fühlen. Er treibt zweitens jene Menschen in das Lager der Europa-Gegner, die nach 30 Jahren Sozialismus endlich eine Wende wollen. Er stärkt drittens die Gegner eines EU-Betrittes in den Länder Mittel- und Osteuropas, die nun anhand eines konkreten Beispiels behaupten können, daß die EU die Absicht habe, die Souveränität der Mitgliedsstaaten abzuschaffen.

Es ist völlig normal, wenn Partner untereinander in der Sache - also dem konkreten Regierungsprogramm - hart argumentieren. Die pauschale Verurteilung eines Landes und ihrer Regierung schafft aber eine Stimmung gegen jene europäischen Werte, die man vorgibt zu verteidigen. Doppelmoral ist ein gefährlicher Sprengsatz, der nach hinten losgehen kann.


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