The
Eurasian Politician
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The Eurasian Politician - Issue 2 (October 2000)

Jenseits von Mozartkugeln und Walzerseligkeit

By Stephan Baier, February 2000

Die internationalen Proteste offenbaren ausländische Ignoranz und heimische Fehler

von Stephan Baier

"Wie schön wäre Wien ohne Wiener. Ein Genuss für den Fremdenverkehr!", sang der Wiener Kabarettist Georg Kreisler einst. So ähnlich mögen viele ausländische Beobachter in diesen Tagen gedacht haben, wenn sie Mozartkugeln und Salzburger Festspiele, Walzerseligkeit und Spanische Hofreitschule, wohlpräparierte Skipisten und grummelnde Fiaker lieben, aber um nichts in der Welt verstehen können, warum rund ein Drittel der Alpenländler mit der vermeintlich neofaschistischen Partei Jörg Haiders liebäugelt. Und bei vielen geronn der Verdacht zur Gewissheit, dass in diesen Österreichern noch mehr schlummere als ein grantiger Kellner oder freundlicher Skilehrer. Hatten nicht 1938 Zehntausende Adolf Hitler auf dem Wiener Heldenplatz mit stramm erhobener Rechten zugejubelt? Und war nicht Hitler selbst Österreicher? Lobte nicht Jörg Haider einst dessen ordentliche Beschäftigungspolitik?

Haiders mehrfache Distanzierung vom Nationalsozialismus (zuletzt am Dienstagabend) und seine Entschuldigungen für unbedachte oder grob fahrlässige Äusserungen wurden ebenso wenig zur Kenntnis genommen, wie die historische Wahrheit über Österreich, das zwischen 1933 und 1938 ohne den Beistand des Westens einer Machtübernahme der Nazis Widerstand leistete. So kam, was kommen musste: Eine Welle des Protestes angesichts der drohenden Regierungsbeteiligung der FPÖ Jörg Haiders in Österreich. Israel drohte mehrfach, seinen Botschafter aus Wien zurückzuziehen, ausländische Kommentatoren gruben sorgsam alle Fettnäpfe auf Haiders langem Weg nach oben aus, immer mehr Staatsmänner äusserten Bedenken. Am Montagabend schlug dann die Bombe ein: Die portugiesische Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union hatte sich mit den übrigen 13 Regierungen angeblich auf einen Text verständigt. Darin heisst es, die Botschafter Österreichs würden im Fall einer FPÖ-Regierungsbeteiligung nur mehr "auf technischer Ebene" empfangen, bilaterale offizielle Kontakte würden eingefroren. "Business as usual" werde es mit einer Regierung, an der die FPÖ beteiligt ist, nicht geben. Die EU-Kommission liess mitteilen, dass sie zwar die Besorgnis der Regierungen teile, jedoch die normalen Arbeitsbeziehungen zu Österreich aufrechterhalte.

In der Alpenrepublik, die viele Österreicher gerne halbernst als Insel der Seligen bezeichnen, lösten die Drohungen der europäischen Partner einen Schock aus. Dieser wurde noch gesteigert als der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, David Leavy, ankündigte, die Vereinigten Staaten könnten "die bilateralen Beziehungen in ihrer ganzen Reichweite prüfen" und sich dem europäischen Boykott anschliessen. ÖVP-Chef und Aussenminister Wolfgang Schüssel, der mithilfe der FPÖ Kanzler werden will, beeilte sich klarzustellen, dass man die Sorgen des Auslands zwar ernst nehme, dass die österreichische Regierungsbildung jedoch in Wien stattfinde - "Und sonst nirgends!"

Mehr als alle Zwischenrufe aus Washington oder Israel sind die Drohungen der EU-Partner in jeder Hinsicht ungewöhnlich und inakzeptabel. Erstens, weil kein formeller Weg gemeinschaftlichen Vorgehens beschritten wurde, sondern Politiker - hinter den Kulissen angeblich auch österreichische Linke - solange miteinander gekungelt haben, bis sie Österreich unter Druck setzen konnten. Der betroffene Aussenminister Österreichs wurde nicht einmal konsultiert, was er zu Recht als eine Gefährdung der Einheit der Union bezeichnete. Griechenland relativierte seinen Protest auch schnell wieder. Schliesslich stellte sich heraus, dass wenige Schlüsselfiguren - darunter Kanzler Schröder - die Erklärung offensiv betrieben hatten.

Zweitens ist die Erklärung inakzeptabel, weil es in der Europäischen Union nicht üblich ist, mit Sanktionsdrohungen die Regierungsbildung in einem Mitgliedsstaat zu manipulieren. Der Vorsitzende der CDU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Hartmut Nassauer, nannte das Vorgehen deshalb einen "Verstoss gegen europäische Regeln und Gepflogenheiten". Zu den demokratischen Prinzipien gehöre auch der Respekt vor der Entscheidung der österreichischen Wähler, meinte Nassauer und fügte hinzu, es sei nur zu verständlich, "wenn sich Österreich Belehrungen von denjenigen verbitte, die weder gegen eine Regierungsbeteiligung der Alleanza Nazionale in Italien unter Berlusconi noch gegen das sozialistisch-kommunistische Regierungsbündnis in Frankreich unter Jospin ihre Stimme erhoben haben".

Empörend ist die Erklärung drittens, weil ihr Inhalt jedes Mass und Ziel vermissen lässt. Selbstverständlich gibt es unter den Europäern berechtigte Sorgen, einen Haider, der gegen Österreichs EU-Beitritt, gegen den Euro und gegen die Osterweiterung polemisierte, an den Schalthebeln der Macht zu sehen. Niemand betonte öfter als ÖVP-Vorsitzender Schüssel, dass sich die FPÖ nun wandeln und definitiv zu Europa bekennen müsse. Auch über die nicht gerade feinfühlige Ausländerhetze der Haider-Partei darf man sich entrüsten. Doch Haider ist weder Faschist, noch Anti-Semit, noch Neo-Nazi und erst recht keine Neuauflage von Adolf Hitler. Haider ist ein erfolgreicher Demagoge und Populist - und wurde umso erfolgreicher je abgehobener die Grosskoalitionäre regierten. Doch die FPÖ ist eine demokratische Partei, die auf rein demokratischem Weg zur zweitstärksten Parlamentsfraktion wurde. Man muss Haider nicht mögen, doch niemand kann den Österreichern verbieten, ihn zu wählen, oder der ÖVP, mit ihm zu koalieren.

Ausserdem erreichen die europäischen Proteste genau das Gegenteil des Erwünschten: Anti-europäische Emotionen erhalten neue Nahrung, Haider gewinnt an

Prestige. Die trotzige "Jetzt erst recht!"-Mentalität hat einst schon Waldheim einen Sieg beschert, sie könnte im Fall von Neuwahlen die FPÖ zur stärksten Partei machen. Billiger als heute lässt sich die FPÖ nie wieder in die Verantwortung einbinden. Sollte der Bundespräsident – aus Überzeugung und unter dem Druck des Auslands – nun Neuwahlen erzwingen, dürfte der Sieger Jörg Haider heissen. Doch der wird dann nicht noch einmal Schüssel die Kanzlerschaft antragen und sich nach Kärnten zurückziehen, wie er es jetzt gelobt. Und er wird wohl auch nicht ein zweites Mal seine Unterschrift unter ein lupenrein europäisches Regierungsprogramm setzen.

Doch bei aller berechtigten Empörung über die fragwürdigen Interventionen des Auslands müssen die Österreicher auch vor der eigenen Türe kehren. Die Meinungen, die in der Welt über Haider und seine Partei kursieren, haben ihre Wurzel im Alpenland. 14 Jahre lang grenzte die Sozialdemokratie die FPÖ systematisch aus und machte sie zum Paria, zum Unberührbaren der heimischen Politik. Erst in letzter Minute, als ihm die Macht sichtbar zwischen den Fingern zerronn, wagte SPÖ-Chef Klima einen verzweifelten, tolpatschigen Flirt mit Haider. War es nicht der ÖVP-Spitzenpolitiker Andreas Khol, der einst davon sprach, die FPÖ stehe ausserhalb des Verfassungsbogens? Und hat nicht derselbe Herr Khol einst mit einer Intervention bei Frankreichs Gaullisten verhindert, dass die FPÖ-Europaabgeordneten in Strassburg in eine Fraktion integriert werden? Man musste keine österreichischen Zeitungen lesen, um Haider für die Inkarnation des Bösen zu halten. Jahrelang haben österreichische Politiker den innenpolitischen Streit auch im Ausland ausgetragen. Es ist der Fluch der bösen Tat, der sie nun einholt.


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