The
ability to produce academic texts is one of the most important skills
to be acquired by university students, whether in their mother tongue
or in a foreign language. In the training of this skill, teachers of academic
writing often make use of templates of language common to highly standardized
scientific reports of experimental research. However, as this study aims
to show, scientific writing is not just an exercise in reporting objective
facts in a schematized way but a paradigm-bound activity and part of the
research process itself. In consequence, the acquisition of genre competence
in writing academic texts will be facilitated by an understanding of social
practice in the science concerned. From the perspective of the teaching
of German as a foreign language, the interdependency between a paradigm
and the language of science was analysed in a diachronic study of German
medical research reports known as "original contributions". These represent
the most important source of information for a particular scientific research
community. Medical articles were chosen because they are still published
in German; in other scientific fields English is the dominant language.
Furthermore, because of journal-specific instructions given to authors,
the articles were selected from one journal only.
In a corpus of 80 original contributions to the "Deutsche Medizinische
Wochenschrift" from 1884 - 1999, extralinguistic, textual, and linguistic-stylistic
features of text were examined. It was observed that, while in the past
scientific articles were written in a more individual style, recent reports
are highly standardized. The process of text pattern development started
after World War II and has continued until now at an ever-increasing pace.
It accompanies a paradigmatic shift from a more qualitative and patient-oriented
approach to more quantitative and disease-focused medical research. For
example, while the authors of earlier articles expressed their sympathy
with patients, nowadays patients are numbers in a group tested in prospective
studies. The journal developed from a platform for the exchange of experience
among colleagues into a more anonymous and "objective" medium with reports
based on statistical research methods. The effect on the text of the journal
has been, for example, the development of the standardized IMRAD pattern
(Introduction, Methods, Results And Discussion) and an increase in the
amount of non-linguistic textual constituents, such as tables, graphs
and pictures. These developments have been accompanied by such linguistic
changes as an increasingly impersonal style and the use of more exact
terms and expressions. Hedges, however, continue to be a constitutive
part of scientific writing, although the form of hedge used may now vary.
Older articles are easily comprehensible because of their more chronological
reporting style and many detailed examples of individual cases, which
enable the reader to follow the study almost from the perspective of an
eye-witness. In recent articles, the research process is summarised and
decontextualised in order to fit the IMRAD text pattern, demanding more
subject knowledge on the part of the reader, who must also trust that
details of the study have been summarised correctly.
Besides strict editorial instructions, the reasons for the developments
mentioned are, above all, the increasing commercialization of science
along Anglo-American lines, but also technical innovations, such as the
use of computers and medical instruments for diagnosis and therapy, enabling
researchers to draw on a greater number of extensive material sources
in more exact studies. The form and content of scientific original contributions
constitute a unity, and paradigm conformity to this unity is a condition
for authors. It remains to be seen how academic writing in the field of
medical science will develop given the tension between the focus on commerce
and technology on the one hand and the individual patient on the other.
Key
words: academic writing, genre conventions, paradigm, German
for Medical Purposes
Entwicklung
von Textsortenkonventionen am Beispiel von Originalarbeiten
der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (DMW)
Das Schreiben wissenschaftlicher Texte gehört sowohl
in der Mutter- als auch in der Fremdsprache zu den wichtigsten Fertigkeiten,
die Universitätsstudenten erwerben müssen. Im Sprachenunterricht werden
dazu häufig Muster trainiert, die typisch für hochstandardisierte Berichte
experimenteller Forschungsarbeiten sind. Ziel vorliegender Arbeit war
es zu zeigen, daß wissenschaftliches Schreiben auch in den Naturwissenschaften
nicht auf Berichten objektiver Fakten in schematisierter Form reduziert
werden darf, sondern eine paradigmaabhängige, in Denkkollektive eingebundene
Aktivität und Bestandteil des Forschungsprozesses selbst ist. Für den
Erwerb von Textsortenkompetenz reicht das Lernen spezifischer Sprachschablonen
deshalb sicher nicht aus, sondern die Textsortenkompetenz wird umso größer
sein, je besser das Verständnis der jeweiligen sozialen Praxis ist. Aus
der Perspektive des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts wurde die Interdependenz
von Paradigma und wissenschaftlichem Schreiben in einer diachronen Studie
untersucht. Da Forschungsberichte die heute geachtetste wissenschaftliche
Publikationsform darstellen und die Medizin ein Bereich ist, in dem auch
heute noch Artikel auf deutsch publiziert werden, wurden für die Entwicklung
wissenschaftlicher Textsortenkonventionen medizinische ‘Originalarbeiten'
gewählt. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf eine Zeitschrift,
die Deutsche Medizinische Wochenschrift (DMW), weil die Hinweise zur Abfassung
von Forschungsberichten heute zeitschriftenspezifisch sind und sie eine
der ältesten deutschen Zeitschriften für naturwissenschaftliche Allgemeinmedizin
ist.
An einem Korpus von 80 Originalien der
DMW von 1884-1999 wurden außersprachliche, textuelle und sprachlich-stilistische
Aspekte der Texte untersucht. Während den Autoren älterer wissenschaftlicher
Artikel individuellere Freiheiten hinsichtlich Textgestaltung und Stil
zur Verfügung standen, sind heutige Artikel stark schematisiert. Der Prozeß
der Musterbildung setzte nach dem 2. Weltkrieg ein und vollzieht sich
mit zunehmender Geschwindigkeit. Er ging einher mit paradigmatischen Änderungen
von eher qualitativer und den Kranken berücksichtigenden zu stärker quantitativen
und auf die Krankheit fokussierten medizinischen Forschung. Wurde Patienten
gegenüber früher ärztliches Mitgefühl ausgedrückt, so werden sie heute
als Zahlen einer Gruppe in prospektiven Studien getestet. Die Zeitschrift
entwickelte sich von einem Forum zum Austausch von Erfahrungen unter Kollegen
zu einem anonymeren, mit statistischen Methoden arbeitenden und somit
stärker nach Objektivität strebenden Medium. Resultate auf Textebene waren
die Entwicklung des IMRAD-Schemas (Introduction, Methods, Results And
Dicussion) und die Zunahme nichtsprachlichler Textteile (besonders Abbildungen).
Diese Entwicklungen gingen einher mit zunehmend unpersönlichen und exakteren
Ausdrücken auf sprachlich-stilistischer Ebene. Signale für Unsicherheit
(Hedges) scheinen dagegen zu allen Zeiten konstitutiver Bestandteil wissenschaftlichen
Schreibens zu sein, wenngleich sich die jeweils bevorzugten Formen ändern
mögen. Ältere Artikel sind in der Regel leichter verständlich, da die
chronologische und mit vielen anschaulichen Beispielen individueller Fälle
ausgeschmückte Berichterstattung es den Lesern ermöglicht, die Studien
beinahe aus der Perspektive eines Augenzeugen nachzuvollziehen. In neueren
Artikeln werden die Untersuchungen dagegen, um in das IMRAD-Schema zu
passen, in stark zusammengefaßter und dekontextualisierter Weise dargestellt.
Diese Darstellungsweise verlangt größeres Sachwissen vom Leser, der sich
zudem darauf verlassen muß, daß die Einzelergebnisse von den Autoren korrekt
zusammengefaßt wurden.
Ursache für diese Entwicklung sind neben
der Einführung immer strengerer redaktioneller Vorschriften vor allem
die zunehmende Kommerzialisierung der Wissenschaft unter anglo-amerikanischer
Orientierung und technische Innovationen, wie der Einsatz von Computern
und medizinischen Geräten für Diagnose und Therapie. Sie ermöglichen die
Untersuchung und Auswertung großer Patientengruppen bzw. Daten in zunehmend
exakter Weise. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Wissenschaftssprache
in der Medizin im Spannungsfeld zwischen Kommerz und Technik auf der einen
und dem Menschen auf der anderen Seite entwickelt.
Schlüsselwörter:
wissenschaftliches Schreiben, Textsortenkonventionen, Paradigma, Fachsprache
Medizin
Rezension: Erschienen in Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. Band 43 (2002), Heft 3/4, S. 645
Die Untersuchung (zugl. Univ. Jyväskylä, Diss., 1999) ist ein Beitrag zur Geschichte der wissenschaftlichen Textsorten. Im Zentrum steht die mehrschichtige Analyse eines Textkorpus, das aus der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (DMW) (gegr. 1875) entlehnt wurde. Zur pragmatischen und wissenschaftsgeschichtlichen Fundierung der Untersuchung holt die Verf. bewußt (66) sehr weit aus (z. B. Kap. 2.1. „Was ist Wissenschaft?“). Detaillierteres Profil gewinnt die Arbeit in der teilweise tabellarisch-statistisch untermauerten Analyse ausgewählter sog. „Originalarbeiten“ der DMW, die zwischen 1884 und 1999 erschienen. Die Quellen werden im Blick auf außersprachliche, textorganisatorische und sprachlich-stilistische Elemente miteinander verglichen (160f.). Daraus resultieren Ergebnisse, die bekannte Topoi der Wissenschaftssprachforschung mit bisher nicht gekannter Präzision erhärten. So kann nun etwa in verschiedenen Dimensionen klarer gesehen werden, inwiefern ältere Wissenschaftstexte „persönlicher“ sind als moderne (183ff., 245ff.). Ein substanzieller Fortschritt wird auch dadurch erreicht, daß die gesteigerte „Objektivität und Exaktheit“ moderner Wissenschaftstexte mit sinnvoll definierten Kriterien vor Augen geführt wird (259ff.). Zudem wird ersichtlich, worin die zunehmende Stardardisierung der Aufsätze wurzelt: redaktionelle Eingriffe in die Texte und Richtlinien zur Abfassung der Manuskripte sind erst neueren Datums (229ff.). Ob die festgestellten Charakteristika repräsentativ für die „Entwicklung des naturwissenschaftlichen Paradigmas“ (287) generell sind, wäre in weiteren Studien zu klären.
Wolf Peter Klein, Berlin (seit 2009 Würzburg)
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